Warum ich Fliegen mag.

Warum ich Fliegen mag.

Papa ist schuld. Natürlich. Was auch sonst?

Ich war neun Jahre alt, da packte Papa mich ins Auto und wir fuhren mehrere Stunden (gefühlt, in Wahrheit wohl 30 Minuten) zum Flugplatz in Wipperführt. Papa buchte einen Rundflug in einer einmotorigen Cessna 172, vergurtete mich auf dem Rücksitz, schulterte seine Fotoausrüstung und nahm selbst auf dem rechten vorderen Sitz des Copiloten/Passagiers Platz. Die Maschine knatterte los, hob ab und ich erlebte die Welt von oben. Was der große Unterschied war zu den Flügen, die ich bisher erlebt hatte: es war meine Welt, mein Remscheid. Ich konnte das erste Mal meine Straßen, meinen Wald, meinen Spielplatz, meine Schule und meiner Freunde Häuser so sehen, wie noch nie zuvor. So klein, so verschwindend. Aber ich fühlte mich auch erhaben: von allen Menschen an Bord (also von uns Dreien) war ich der einzige, der wusste, welche Geheimnisse diese Ansammlungen von Bäumen dort und dieser Flecken Wiese hier barg. Und noch mehr: ich war auch unter meinen Freunden der einzige, der jemals unsere Welt aus der Sicht eines Vogels sah. Wie großartig war dieses Gefühl. Es war in der Tat so großartig, dass ich mir genau merkte, was es für ein Flugzeug war („Cessna 172 Skyhawk“) und wie das Rufzeichen lautete: D-EKON. Glaubt es oder nicht, aber ich habe sechsunddreißig Jahre später in Vorbereitung auf diesen Text ein Bild dieses Flugzeugs im Internet gefunden:

Quelle: AirHistory.net

Wie ich schon schrieb, das hier war nicht mein erster Flug. Zuvor bin ich schon in Passagiermaschinen nach Ibiza geflogen. Ich erinnere mich noch an einen dieser Flüge. Die Fluglinie hieß Spantax und betrieb untere anderem die vierstrahligen Convair 990 Coronados, absolute Raritäten aus heutiger Sicht. Irrsinnig laut, irrsinnig dreckig und irrsinnig schnell waren die. Eine der Maschinen steht heute, langsam verrotend, am Flughafen von Palma de Mallorca als Ausstellungsstück.

Ein Bericht über die Spantax-Convair in der Mallorcazeitung.

EC-BZO, die Spantax-Convair am Flughafen PMI

Ich erinnere mich, dass ich direkt nach dem Verlassen der Runway nach hinten geschaut habe und den Eindruck hatte, es ging hinter mir bergab. Eine Täuschung natürlich, hervorgerufen durch die Rotation des Flugzeuges und den schmal zulaufenden Rumpf. Andererseits auch irgendwie symbolisch, denn Spantax hatte einen durchaus schlechten Ruf: mal landete ein Pilot in Hamburg auf dem falschen Flughafen („Finkenwerder Airlines“), mal vergaßen Piloten, bei der Landung das Fahrwerk auszufahren oder reagierten viel zu spät auf Notlagen. 1988 war für Spantax daher der Kollaps unausweichlich.

Naja, jedenfalls: der Cessna-Flug hat etwas in mir geweckt. Die Technik daran war gar nicht relevant oder der Ablauf oder das Gefühl der Maschine. Es war tatsächlich das Gefühl der Freiheit und Einzigartigkeit und das Gefühl, den Dingen entkommen zu sein. Wer kann einen schon erreichen, so hoch oben? Keiner, niemand. Das hat mich ungeheuer ergriffen. Noch am Abend führte ich Mama und Papa das selbstgebaute Flugzeug aus Lego vor. Ich weiß es noch wie gestern: Papa sah mich an und blickt dann verschmitzt lächelnd zu Mama. Er wusste wohl, was er da bewirkt hatte.

Heute Lego, morgen Revell.

Jetzt besteht die Schwieirgkeit natürlich darin, nicht ständig solche Rundflüge buchen zu können. Es gab tatsächlich nur noch einen einzigen weiteren, zusammen mit meiner Schwester saß ich wieder hinten auf der Rückbank und mir war kotzeübel. War es aber vorher schon, eigentlich müsste ich Papa dafür hassen, dass er mich in diesem Zustand, der keinerlei Genuss zuließ, in den zweiten und letzten Cessna-Rundflug meiner Kindheit zwang. Tue ich aber natürlich nicht, immerhin schreibe ich jetzt schon seit sieben Zeilen darüber und damit ist das scheinbar doch eine erzählenswerte Episode meines Lebens geworden. Außerdem ist dabei wohl auch eine der Luftaufnahmen entstanden, die Papa mit seiner Kamera von unserem Zuhause gemacht hat:

Blick auf Remscheid-Bliedinghausen: waagerecht verläuft die Bliedinghauser Straße mit dem damaligen Autohaus Reiferscheid (heute 3H-Automobile), links abzweigend die Steinackerstraße (rechte Bildseite). Am oberen Bildrand: der Sonnenhof.

Da ich nun also unwissentlich der Rundflüge beraubt war, blieben mir nur zwei Alternativen: selbst fliegen oder selbst bauen. Das erste war unerreichbar und kam mir nie in den Sinn, ich war ja auch erst neun Jahre alt. Das zweite war aber möglich. Lego bot da so viele Optionen und bald schon entwickelte sich meine Kreativität hin zum Nachbau der Hochdecker-Cessna. Nur hat Lego eben auch einen Nachteil: es sieht irgendwie nie wirklich nach genau dem Flugzeug aus, das mir die große Freiheit versprach. Es sah auch nie nach irgendeinem anderen Flugzeug aus, wie ich sie in der Flug Revue sehen konnte, die Papa sich immer gekauft hat. Nein, Lego ist eckig. Richtig eckig. Rechtwinkelig eckig. Das sind Flugzeuge eher selten (mit Ausnahme des „fliegenden Schuhkartons“, der Shorts Skyvan). Ich musste mir, um des Realismus Willen schon, eine Modellalternative suchen. Diese fand ich im Spielwarengeschäft „Hock“ auf der Alleestraße: die Modellbausätze der Firma Revell. Ohhhh ja: DAS waren Flugzeuge! Wie in echt. Den ersten Bausatz bekam ich allerdings noch viel früher geschenkt, im Alter von sieben Jahren vom Freund der Familie, Klaus. Es war ein Wasserflugzeug und wenn ich mich richtig erinnere, könnte es eine Dornier Wal gewesen sein. Zusammengebaut haben Klaus und ich das Ding, ohne jede Anwendung von Farben, im gemeinsamen Urlaub in Kirchheim/Teck. Der Urlaub sollte später dafür in die Familiengeschichte eingehen, dass ich, schwer fiebernd, sechsundreißig Stunden durchgeschlafen haben soll. Behauptet jedenfalls Mama und die ist für ihre perfektes Zeitgefühl bekannt. Aber ich schweife ab.
Das Wasserflugzeug konnte gar nicht schnell genaug fertig werden, immerhin sollte es doch draußen fliegen. Ihr könnt Euch wohl meine Enttäuschung vorstellen, als ich das Flugzeug kräftig nach vorne schleuderte und der Jungfernflug wenige Meter später in einen „controlled flight into terrain“ endete, der Aufschlag auf die Pflastersteine der Hauseinfahrt. Mein siebenjähriges Ich betrachtete die Absturzstelle und auch wenn ich mich nicht mehr daran erinnerte, so würde es mich doch nicht wundern, wenn ich mich um diese angebliche Errungenschaft der Menschheit, die Fliegerei, betrogen fühlte. Fliegen? Wie denn, wenn nichtmal dierses kleine Plastikding dazu in der Lage ist? Glücklicherweise hat dieser Zustand nicht lange angehalten, woran der anderthalbtägige Fieberschlaf möglicherweise nicht ganz unschuldig sein könnte, Stichwort „Kurzzeitamnesie“. So war mein Geist frei für das Revellerlebnis einige Jahre später bei Hock.

Irgendwas mit Knarren dran

Inzwischen änderten sich in und um mich einige Dinge, die auch auf meine Sicht der Fliegerei Einfluss nahmen. So entdeckte ich mittels Commodore C64 die Welt der Flugsimulation und damit auch die ersten Militärflugzeuge. Weiterhin entdeckte ich, über die Katalysatoren Carsten und Oli, die Filmwelt und wie ultragroßartig die amerikanische Air Force doch war. Top Gun! Der stählerne Adler! Blue Thunder! Der Hammer. Da konnte so eine lumpige Boeing oder Cessna einfach nicht mithalten. Im Gegenteil: Filme wie „Airport“ oder „Airport 80 – Die Concorde“ bewiesen doch letzten Endes nur, dass die zivile Fliegerei lebensgefährlich war. Bei Top Gun konntest Du immerhin nur dadurch sterben, dass der Schleudersitz Dich gegen die Cockpithaube schießt, und seien wir mal ehrlich: wie oft kommt das schon vor?
Das Ende vom Lied: ich baute keine Zivilflugzeuge, sondern alles andere, Hauptsache militärisch. Und Hauptsache großformatig! Im Maßstab 1:48 waren das die F-15 Eagle und die F-18, auch die F-16 oder der deutsche Transporthubschrauber CH-53G. Kleinere Maßstäbe baute ich natürlich auch, 1:72 und 1:144. Über die Dauer entstand so ein reichhaltiger Bestand an Bauwerken. Über meine technischen Fertigkeiten beim Bau wollen wir mal schweigen, denn mir ging es ja um die Materialisierung von Phantasien. Gespielt habe ich mit den Bausätzen zwar nicht, aber ich habe sie gerne angeschaut und mir vorgestellt, wie diese Maschinen in den Filmen wohl aussehen würden. Übrigens, und das beruhigt mein erwachsenes, pazifistisches Ich schon ein wenig: ich habe mir nie den Waffeneinsatz vorgestellt. Ich habe die Bewaffnung angebaut und kannte auch alle Namen und Spezifikationen. Wahrscheinlich ging damit auch ein gewisses Machtgefühl einher. Aber dass meine Bausätze im Grunde genommen dazu gemacht wurden, andere Menschen umzubringen, ging mir nie in den Kopf, weder als Realisierung dessen noch als Vorstellung der Machtausübung.

Der Weg zurück nach oben

Mit den Jahren entdeckte ich doch mehr und mehr wieder die zivile Fliegerei. Die regelmäßige Lektüre der Flug Revue spielte dabei eine wesentliche Rolle, aber auch die lauter werdende innere Stimme, die mich aufforderte, doch endlich selbst über eine Fluglizenz nachzudenken. Aufgrund der hohen Kosten kam das aber nicht in Frage. Ultraleichtfliegen oder Segelflug, was sehr viel günstiger ist? So zivil war ich dann doch noch nicht. Für den Moment mussten also wieder Bausätze herhalten. Ein Airbus A330 entstand ebenso wie eine Concorde. Nebenher wurde ich aber auch per Airbursh aktiv: mein Freund Carsten hatte sich irgendwann eine eigene Fluggesellschaft ausgedacht. STAFA Airways. Was „STAFA“ bedeutet und warum man es groß schreibt, weiß niemand so genau, vermutlich nichtmal Carsten selbst. War mir aber ohnehin egal, denn ich entwickelte dafür auch nur ein Design und erstellte eine Fliegerübersicht. Als kleinen Scherz konnte ich es mir nicht nehmen lassen, Carsten eine Prise Rückständigkeit unterzujubeln, indem ich eine absolute veraltete Tupolew Tu-154 der Flotte hinzufügte. Hat er natürlich nie verstanden, aber ich schmunzle noch heute.

Einen Schritt nach vorne – und oben – machte ich, als während des Studiums in Bonn feststellte, dass es seitens der Universität das Angebot gab, Segelflugstunden nehmen zu können. Der Flugplatz in Hangelar war dafür vorgesehen und den konnte ich zu Fuß erreichen. Grandios! Damit ging es dann tatsächlich das erste Mal hinter einem Steuerknüppel in die Luft. Zwar steuerte ich noch nicht selbst, aber ich saß eben im Cockpit. Und nicht nur das: es war auch das erste Mal Segelfliegen für mich! Mein erster Eindruck war die kurze Rollstrecke, bevor das Flugzeug abhob. Da das einzelne Rad nämlich nicht gefedert ist und der Sitz nicht gepolstert, erlebte ich jeden Maulwurfshügel unmittelbar. Eine Rückkehr zur Natur, sozusagen. Derart geschüttelt war das plötzliche Übergehen in den Schwebeflug unmittelbar und sehr beruhigend. Ich begann mich schon, gemütlich in dieser Horizontalbeschleunigung einzurichten, als das Flugzeug steil nach oben zog. Die Winde hatte mächtig Power und schleppte den Segler im 50 Grad-Winkel empor. In einigen Dutzend Metern Höhe kippte das Flugzeug dann langsam nach vorne, verringerte den Anstellwinkel und klinkte aus. Und was für ein toles Gefühl war das! Durchaus nicht gerade leise, wie man annehmen könnte wegen des fehlenden Motorgeräusches. Aber ein Segelflugzeug fliegt mit ungefähr 100 km/h durch die Lüfte und das Rauschen des Windes ist deutlich vernehmbar. Unterhaltungen im Cokpit sind da nicht in Zimmerlautstärke zu führen.

Das Flugerlebnis hinterließ bleibenden Eindruck und hätte mit Sicherheit auch zu einer erfolgreichen Lizenz geführt, wäre mir das Ende des Studiums und der Lernstress für das zweite und dritte Examen nicht dazwischen gekommen. Der Wegzug aus St. Augustin nach Remscheid entfernte mich dann auch so weit von Hangelar, dass ich dort nicht weiter fliegen wollte. Damit war leider auch das Thema „Fluglizenz“ für längere Zeit durch. Nicht nur, dass es keine Flugschule in direkter Nähe gab, ich befand mich fortan auch im Beschäftigungsverhältnis und hatte einfach keine Zeit mehr.

Dann halt durch Glas

Die Faszination ließ natürlich keinesfalls nach. Allerdings verlagerte sich der Fokus deutlich in Richtung der Verkehrsfliegerei. Und in Richtung Fotografie. Beides zusammen bedeutete: wenn ich mich auch nur annähernd in dem Dunstkreis eines Verkehrsflughafens bewegte, war der Weg zu irgendeiner Stelle am Begrenzungszaun fest eingeplant:
„Nur einmal gucken, nur kurz.“
„Ach, schau, das waren jetzt zwei Mal Boeing 737, lass und wenigstens noch auf einen Airbus warten.“
„Nee, nicht so ein Airbus, ein anderer.“
„Nein, so einer auch nicht, noch ein anderer.“
„Was soll das heißen, Du fährst jetzt einfach und ich soll zusehen, wie ich an etwas zu essen komme?“
Ich nehme an, Ihr kennt solche Gespräche selbst.
Als ich dann zu ungefähr dieser Zeit mit der Fotografie intensiv begann, lag die weitere Entwicklung natürlich nahe. Fotos von Flugzeugen, großartig. Inspiriert haben mich die vielen Webseiten zu diesem Thema: planespotters.net, airliners.net, jetphotos.com… da gibt es wahnsinnig viele Seiten mit irrsinnig guten Bildern. Deren Level werde ich wahrscheinlich nie erreichen, aber das ist auch nicht mein Anspruch. Ich will einfach nur Flugzeuge sehen.

Ansonsten das, was Microsoft sagt.

Seit 1982 gibt es den „Flight Simulator“ und seit dieser Zeit bin ich sein Passagier. Auf dem C64, auf dem Amiga und schließlich auf dem PC; nur mit dem Joystick, dann mit zwei Joysticks, dann in Virtual Reality. Aber immer geht es um das Fliegen. Der Flight Simulator 2020 ist selbstverständlich auch mein Eigen und echte Fliegereingabegeräte befinden sich schon lange auf meinem Wunschzettel. Aber mir ging es ja eigentlich nie um die Technik, das Beherrschen einer Maschine und damit der Luft, dem Trotzen der Schwerkraft. Mir ging es um die Freiheit und darum, meiner Welt und meiner Wirklichkeit zu entfliehen, von oben auf alles zu blicken und das Gefühl zu genießen, dass mich niemand erreichen kann. Ich bin einfach nicht da, weg, in der Luft. Übrigens fasziniert mich die Schifffahrt aus dem gleichen Grund.

Der Flight Simulator konnte dieses Gefühl oft in Sichtweite bringen, aber nie erreichen. Die neueste Version aber kommt schon ganz nah heran. Immerhin wird tatsächlich erstmals die Welt simuliert. Ich sah bereits die Eschbachtalsperre, das Remscheider Rathaus und sogar das Farmhaus von Tafa und Michael in Arkansas/USA. Ich beginne also schon wieder, das Verlangen nach dem Erlebnis zu verspüren. Inzwischen könnte ich mir die Rundflüge selbst leisten, aber reicht mir das noch? Will ich nicht mehr? Will ich nicht selbst entscheiden, wohin es geht und wann und für wie lange? Doch, natürlich will ich das. Ich will das tun, was diese beiden YouTuber tun: sich in ihren Ultraleichtflieger setzen und für ein paar Tage einmal im Kreis durch Deutschland fliegen:

Der Schluss liegt also nahe: ich will – nein: ich muss eine Pilotenlizenz machen. Alles klar.

Up, up and away

Bis es soweit ist, wie die Überschrift das suggeriert, dauert es noch. Ich bin bislang (Stand Dezember 2020) nicht über das Status der Suche nach Flugschulen hinaus. Naja, doch, ein wenig: ich habe nämlich eine gefunden. Vielleicht. Aber ab jetzt werde ich Euch mitnehmen auf diese Reise. Wenn es tatsächlich irgendwann mit der Flugschule anfängt, werdet Ihr das erfahren und hier begleiten können. Bis dahin wird meine Fliegerleidenschaft online stattfinden oder am Zaun stehend und staunend.

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