Walking in Remscheid – #2

Die zweite Tour führt mich in den anderen Teil vom Hasten: nach Westen und Südwesten bis zur Stockder Straße und von dort über die Edelhoffstraße zurück bis zur Hastener Straße.

Tour #2 (25. Oktober 2020)

Gelaufene Strecke7,55 km
Dauer der Wanderung2:50 Std.
Höhenmeter287 m
Fotos263
Die Route, ausgehend von der Hastener Kirche (Quelle: Samsung Health, Google).

  • Büchelstraße
  • Scharnhorststraße
  • Hastener Straße
  • Richardstraße
  • Arturstraße
  • Unterhützer Straße
  • Oberhützer Straße
  • Unterhölterfelder Straße
  • Fürberg
  • Ackerstraße
  • Fürberger Land
  • Fürberger Straße
  • Vorm Berg
  • Am Langen Siepen
  • Stockder Straße
  • Oberhölterfelder Straße
  • Edelhoffstraße
  • Taubenstraße
  • Bremen

Eindrücke entlang des Weges

Der erste Start war geglückt, genau drei Wochen zuvor. Jetzt sollte Tour Nummer zwei folgen.

Es war ein bergischer Herbsttag, wie er im Buche steht: bedeckter Himmel, leicht gräulich, windig. Aber die Farben. Die Farben! Der Herbst gab hier gerade kräftig Gas und das wollte ich mir nicht entgehen lassen. Ich zog also, wieder mit Startpunkt Hastener Kirche, los, jetzt aber eher rechts haltend denn links, wie bei Tour Nummer eins. Gleich gegenüber der Kirche offenbarte sich mir ein fantastischer Blick ins Morsbachtal mit seinen bunten Herbstfarben. Und ist das nicht die Essenz dieser Jahreszeit? Raschelndes Laub, das der Wind bewegt; rauschende Bäume in der Brise; ein plötzlicher Schwall bunter Blätter, der langsam herabsegelt; der Duft eines brennenden Holzofens von irgendwo. Das sind Situationen, in denen es sehr erfüllend ist, auf dieser Welt wandern zu dürfen.
Durch die Scharnhorststraße gelangte ich auf die lange Hastener Straße, der ich aber ein eigenes Kapitel widmen will, eine eigene Tour. Hier endet Remscheid. Für mich als Bliedinghausener Jungen in der Jugend „Ausland“. Hastener Straße? Ja, liegt wohl in Hasten. Wo Hasten liegt? Na in… Remscheid? Das wäre die Maximalannäherung gewesen, hättest Du mich als achtzehnjährigen Schüler gefragt. Hasten war halt da, aber irgendwie auch ein Mythos. Und dass hier eine Kirche steht, wusste ich auch nur durch die Aufschrift auf der Buslinie 653, die mich immer vom Mannesmann zum Ebert-Platz brachte: „Hasten (Kirche)“. Steht heute noch drauf.

Die Hastener Straße wollte ich aber auch gar nicht ins Visier nehmen. Klar, der Straßenpunkt wäre abgehakt, denn ich laufe ja auf ihr, aber nur als Durchreisestation. Ich will nämlich eigentlich zum Fürberg. Also quer rüber und rein in die Richardstraße. Hier frage ich mich: werden Vornamen für Straßen eigentlich als Lückenfüller vorrätig gehalten? Christian- und Eberhardstraße liegen nun nicht in der Nähe und Arnoldstraße schon gar nicht. Oder sind es immer berühmte Bürger gewesen, die hier wirkten und nach denen die Straße benannt wurde? Vielleicht weiß ja einer meiner Leser hier mehr und macht mich schlauer!
Die Richardstraße wurde nach links verlassen, um auf die Artustraße zu gelangen (schon wieder ein Vorname!). Dann fast hunderachtzig Grad gewendet, rechts herum, und ich stehe in der Unterhützer Straße. Hier findet sich ein trauriges Kapitel Remscheider Kneipengeschichte: das ehemalige Billardlokal „Boogie’s“, später als „Smokingz“ aktiv, inzwischen aber verlassen und verfallen.
Als ich vorhin von dem gefühlten äußeren Sternensystem namens ‚Hasten‘ schrieb, war das Boogie’s in meiner Jugend dessen Zentralgestirn. Der Name klang nach Abenteuer, nach Erwachsensein. Als ich das erste Mal ins Boogie’s fuhr, begleitete mich mein Mitschüler Marc. Der hatte schon zu Jugendzeiten seine ihm eigene Individualität, denn er war stets elegant gekleidet, mit Kragenklemme oder Krawatte bisweilen. Gleichzeitig war er der coolste Hund, den ich mir überhaupt nur vorstellen konnte. Jederzeit gechillt, jederzeit besonnen und jederzeit konfrontativ, ohne aber sein Niveau zu verlassen. Und mit dem nun ins Boogie’s? Mann, gefühlt war das für mich ein Moment, in dem eigentlich spontan ein Vollbart hätte sprießen müssen, so erwachsen fühlte ich mich!
Die Unterhützer Straße bietet dem Besucher ein typisches Bild Remscheider Stadtgeschichte: neben Wohnhäusern unterschiedlichster Baustile und -Jahre finden sich Industriebauten und Kontore. Backsteingebäude mit langer Industrietradition haben manches Mal die Branche gewechselt und dienen heute als Wohnhäuser. Aus Fotografensicht ist die Industrieromantik aber keineswegs zu verbergen.
Am Ende der Unterhützer Straße schließt unmittelbar die Oberhützer Straße an, was etwas verwundert, denn bislang ging es stetig bergab. Die Oberhützer gabelt sich direkt und ein Arm der Straße verschwindet im Wald – und ich mit ihr!

Was so typisch ist für die Remscheider Topographie: in der einen Sekunde stehst Du in einem gemischten Wohn-/Industriegebiet, in der nächsten mitten in einem Wald, der nicht den Eindruck erweckt, dass überhaupt irgendwo in der Nähe Menschen leben. So umschließt mich auch hier die Floraabteilung des Bergischen Landes in einer unmittelbaren Plötzlichkeit und ich atme frische Waldluft, vom Herbst eingefärbt und aromatisiert. Der Duft feuchten Laubes gehört wohl zu den schönsten Aromen, die ein Stadtkind erleben darf und bringt mich auf direktem Wege zurück in die Kindheit, als wir dem Bergischen Regen trotzten und uns durch den Matsch der Wälder gruben, wahlweise in Nachahmung irgendwelcher achtziger Jahre Filme oder eigener Phantasiewelten.
So schnell, wie mich der Wald absorbiert hatte, so schnell gibt er mich auch Wieder frei und ich stehe auf der Unterhölterfelder Straße. Direkt gegenüber des Ausganges befinden sich schöne, alte bergische Wohnhäuser. Aber Remscheid wäre nicht Remscheid, wenn das der sanfte Übergang Wald-Stadt wäre, der Dich hier erreicht. Nein. Vorher musst Du nämlich am vermosten, verdreckten und rein funktionalen Betonklotz namens ‚Sporthalle Hölterfeld‘ vorbei. Und vorbei ist auch jede romantisch-warme Einbildung wiedergewonnener Kindertage. Der Duft des Herbstes weicht dem plötzlichen Eindruck miefiger Sportumkleidekabinen und Kubikmetern abgestandener Ausdünstungen schwitzender Menschen.
Das Leben in Remscheid ist halt hart.

Remscheid bietet neben dieser Folter aber auch Auswege. Meiner heißt ‚A2‘ und ist ein Rundwanderweg. Nur wenige Meter hinter der Sporthalle lässt mich die Stadt frei und bietet mir wieder den Wald an. Das nutze ich natürlich aus.
Ich will ja meine Kindheit zurück!

Abbiegen auf die A2 Richtung Hannover. Nein, Sauerland. Nein, Fürberg.

Dieses Mal darf ich meine Eindrücke länger behalten: der Waldweg Richtung Fürberg ist länger, auch breiter als vor ein paar Minuten. Und der Weg aus dem Wald heraus ist sanfter. Man meint, die Industrieanlagen hätten mit dem Wald ein Abkommen getroffen, wer wie weit siedeln darf. Aber dass Remscheid eine Stadt der Manufaktur ist, ist schnell ersichtlich: Stahlblöcke lagern frei an der Straße, Backsteinfabriken mit witterungsverwundeten Außenanlagen ebenfalls. Über die Fürberger Straße erblicke ich irgendwann das ultimative Kennzeichen hart arbeitender Menschen: einen großen Haufen Erde, Kies oder was auch immer. Die Rückseite des Remscheider Wertstoffhofes.
Ab hier geht es wieder bergauf und das nicht nur sprichwörtlich. An der Straße „Vorm Berg“ genieße ich rasch ein paar schnell Kohlehydrate in Form eines Ballistos. „Vorm Berg“ ist wirklich ein passender Name und ich habe von dieser Straße zuvor noch nie gehört.

Über die Straße „Am Langen Siepen“ gelange ich in die Straße, die seit dem 8. Dezember 1988 untrennbar mit der größten Katastrophe der Nachkriegszeit dieser Stadt verbunden ist: der Stockder Straße.
Wie wohl mit dem Mauerfall und Nine Eleven wissen die meisten Remscheider heute noch, wo sie waren und was sie getan haben, als am 8.12.1988 die A-10 „Warthog“ im dichten Nebel die Orientierung verloren hatte und in der Stockder Straße niederging. Es war 13:30 und ich befand mich im Bus auf dem Weg nach Hause. Das Leibniz-Gymnasium war zu dieser Zeit auf zwei Standorte verteilt und ich besuchte den Bereich in der ehemaligen Schule Kremenholl. Das ist ein wenig beängstigend, denn die Flugroute kreuzte meinen Heimweg. Ich hätte mich wohl sehr viel näher an der Unglücksstelle befunden, wäre das Flugzeug nur ein paar Sekunden länger in der Luft geblieben. So aber lag ich erschöpft zuhause auf dem Sofa, las die BRAVO und schrak entsetzt auf, als der Mann auf WDR 2 plötzlich sagte „Näheres zum Flugzeugabsturz in Remscheid erfahren Sie im Anschluss.“.

Auf mein vierzehnjähriges ich prasselte in dieser Sekunde so viel ein, dass ich gar nicht wusste, was ich tun sollte. Was ich schließlich tat: Mama rufen, die in der Küche war, und meinen Freund Oli anrufen, um ihm davon zu erzählen. Oli war nicht zuhause, nur seine Mutter, also erzählte ich ihr davon. Das Gefühl, dass da eine Katastrophe passiert war, hat mich dabei gar nicht unmittelbar gepackt. Es war eher das Gefühl, dass da überhaupt etwas passiert war. In Remscheid. In meiner Stadt. In der Stadt, in der eigentlich doch nie etwas passierte und dann spricht jemand im Radio diesen Namen aus. Eine Mischung aus Überforderung und Stolz, die man wohl wirklich nur mit der Unerfahrenheit und auch Unschuld eines Kindes erklären kann, dem bislang nie irgendetwas Schlimmes im Leben passiert ist.
In den folgenden Tagen drang das Ausmaß dieses schrecklichen Ereignisses nur langsam in meinen Kopf. Dafür war ich wirklich noch zu jung und zu fasziniert von Flugzeugen und Militär und dem ganzen Drumherum, was da ablief. US-Militär in grünen Jeeps, in grünen Zelten, mit Zigarrenstumpen im Mundwinkel. Ein riesiger Parabolspiegel auf dem Schützenplatz. Und Volker Acksteiner, seines Zeichens Chef der Remscheider Berufsfeuerwehr und Freund unserer Familie, war in den Tagesthemen zu sehen. Hallo?! Das ist jemand im Fernsehen, den ich persönlich kenne. Und zwar in DEM Fernsehen, in dem sonst ‚Wetten dass‘ läuft und die Hitparade und das ‚Aktuelle Sportstudio‘. Ich fühlte mich wichtig. Und es sah ja nun auch alles so aus wie in einem Stallone- oder Schwarzenegger-Film. Das Bild des in der Baumgabel hängenden Pilotenhelmes (von dem klar war, dass auch der Kopf des Piloten noch drin stecken könnte), hat mich nicht tangiert. Vermutlich war das einfach zu schrecklich, als dass meine heile Seele das hätte erfassen können. Noch heute kommt mir das unwirklich vor.

Die Stockder Straße ist heute frei von offensichtlichen Wunden dieses Ereignisses. Eine lange Straße mit Wohnhäusern, Fabrikanlagen, Garagen, Höfen. Wie wir schon gesehen haben: absolut typisch für diese Stadt.
Immer geradeaus führte mich die Straße, die später zur Oberhölterfelder Straße wird, dann zur Edelhoffstraße. Einige wundersame Dinge finden sich jedoch entlang des Weges: die Villa Kunterbunt, eine Kindertagesstätte mit dieser absolut fantastisch gebauten kleinen Spielhütte. Und eine Straße mit dem Namen „Bremen“. Woher der Name wohl herrührt?

So brachte mich der Weg wieder zu meinem Ausgangspunkt und an das Ende der Tour Nummer zwei. Ein schöner Herbsttag in Remscheid. Ich freue mich auf die nächste Tour!


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